Bestrafung

17.11.13

Pireins Plan ging nicht ganz auf. Kück bemerkte, dass er in ein Loch gefallen war. Der Reitverein erschien ihm anders geworden zu sein, seit dem Pirein dort auftrat. Es war nicht mehr das lockere Gespräch, welches man pflegte. Es standen Interessen im Fordergrund und man war bereit, diese Interessen durchzusetzen. 

Pireins Auftraggeberin war mit der Familie befreundet und der Kück fragte bei der Familie Stern um Rat. Auch er wollte wissen, wie er sich in Zukunft verhalten müsse, um seinen Betrieb, seine Familie und seine eigenen Interessen zu schützen, denn er erkannte sehr wohl, dass es nicht nur um die Pferde ging. Seine Freunde, seine Beziehungen begannen zu bröckeln, weil jemand seinen Ruf schädigte. Herr Stern, der Vater von Stefanie, riet ihm sich zu engagieren, sich in den Vereinen stark zu machen und Positionen mit Familienmitgliedern zu besetzen.

Die Sterns hatten sich beratschlagt. Sie vermuteten, dass irgendetwas passiert sein musste in der Nacht, als Pirein auf Tropos und Triban aufgepasst hatte. Es wunderte sie, dass die beiden einen ganzen Tag in Trance gewesen zu sein schienen. Damit hatten sie nicht gerechnet. Sie konnten Pirein den Gebrauch von Betäubungsmitteln nicht nachweisen, aber sie vermuteten, dass genau dieses geschehen war. Daran, dass auch der Brand bei den Gutglaubes auf Pireins Konto ging, dachte man zunächst nicht. In der Zeitung hatte gestanden, dass vermutlich ein loses Kabel schuld an der Entzündung gewesen sei. Die Gutglaubes waren versichert und würden eine angemessene Entschädigung erhalten.

* * *

Kück besprach sich mit seiner Frau. Sie meinte, sie wäre doch im Tennisverein und engagierte sich dort bereits. Es konnte dennoch nichts schaden, wenn sie versuchte  im Vereinsstübchen zu kellnern, sagte Kück. Er wusste, dass seine Frau die Arbeit gerne machen würde und dem Ruf der Familie würde es nicht schaden, da eine Kellnerarbeit in einem Sportverein nicht gleichzusetzen war mit einer Kellnerarbeit in einer Kneipe. Man wollte sich nicht direkt um den Vereinsnachwuchs kümmern, weil inzwischen Stimmung gemacht wurde gegen Eltern, die ihre Kinder mit Ohrfeigen bestrafen. Die Familie Kück hatte davon gehört und fühlte sich auch angesprochen.

Die Art der Bestrafung und der Druck von außen hatten innerhalb der Familie schon zu Spannungen geführt. Es kam zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen zwischen Kück und seiner Frau, die aber meinte, sie hätte das alleinige Recht über die Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen. Das Gesetzbuch gab ihr 1970 in sofern Recht, dass Eltern in ihrer Erziehung durchaus zur Prügelstrafe berechtigt seien. Die Mutter hatte im Tennisverein deswegen sogar mit einem Anwalt gesprochen. Trotzdem wollte sie sich Mühe geben, die eignen Kinder nicht mehr mit einem schnellen Klaps zur Vernunft zu bringen, sondern auf ausführliche Gespräche zu setzen.

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Pirein erkannte das Vorhaben zu spät. Zwar war er im Tennisverein ebenfalls nicht untätig und die Stimmungsmache ging von ihm aus, aber als die Mutter sich mit Schokoladenkuchenbacken und Vernunftgesprächen wieder Freunde machte und plötzlich im Vereinsgasthaus kellnerte, war er von der Situation überrascht.

Sie konnte sich ihm in den Weg stellen, dies begriff er. Zudem war sie nicht auf den Mund gefallen und er hatte Schwierigkeiten ihren Äußerungen etwas entgegenzusetzen. Wenn sie nun ihre Kinder nicht mehr züchtigen würde, würde er über kurz oder lang seinen Respekt vor den Tennisvereinsmitgliedern verlieren.

Pirein setzte auf Ehrgeiz. Er versuchte die Mitglieder anzuhalten, Wettkämpfe auszutragen, sich die Spiele zu eigen zu machen und sich in den Regeln auszukennen. Er suchte sich in den Materialien, die für den Sport  geeignet waren, die neuesten und teuersten aus und begann zu spielen wie ein Besessener. Er wollte sein Ansehen durch Gewinnerfolge aufbessern, so dass ihm niemand an das Zeug flicken konnte. Da bestellte ihn die Auftraggeberin zu sich.

* * *

Stefanie Stern fragte ihn nun plötzlich, warum er die Familie Kück denn nicht in Ruhe lasse. Er habe sein Geld doch bekommen und könne sich doch nun ein paar schöne Jahre hier in der Kleinstadt machen. Den Wirbel den er jetzt mache, wolle sie gar nicht. Pirein dachte nicht daran, klein beizugeben. Er bohrte nach. „Warum haben sie mir denn dann den Auftrag gegeben?“ Steffi entgegnete, dass dies ihre Sache sei.

Als Pirein aber verlangte, dass dann auch das Versprechen, welches er gegeben habe zurückgenommen werde, sagte sie Nein. Er sollte also bleiben und sich um nichts kümmern?

Pirein war fassungslos. Er verstand nicht, wie man sein Geld so verschleudern könne. Als sie ihn also nochmals bat, die Familie in Ruhe zu lassen und sich aus allem heraus zu halten, entgegnete er: „Ich kann nicht.“ Sie fragte; „Wieso?“ Er antwortete: „Ich bin Zeuge und ich glaube sie verheimlichen mir etwas.“ 

Sein letzter Satz war eine Anspielung auf die konfessionellen Verhältnisse, die in der Region von Welkostadt vorherrschten und zugleich sein eigenes Glaubensbekenntnis.

Die meisten Leute der Umgebung waren katholisch. Sie waren brave Leute, die ehrfürchtig an die Kirche glaubten und gerne die Kirche als ein Bollwerk betrachteten. Es gab eine große Gruppe evangelischer Menschen, die aber zumeist zugezogen waren. Die Dörfer waren nach dem Krieg angefüllt worden mit Flüchtlingen. Die Familie Kück war ebenfalls aus diesem Grund zusammengekommen. Sie waren evangelisch. Der Vater war mit seinen Eltern aus der Umgebung von Dresden geflohen, die Mutter mit ihren Eltern stammte aus Hamburg.

Pirein war jedoch Zeuge Severins und fühlte sich genötigt, seinen Glauben in der Stadt verbreiten zu dürfen. Dazu gehörte auch, dass er es sich nicht nehmen lassen wollte, über andere Menschen zu urteilen, denn die Zeugen nahmen für sich in Anspruch nach eigenen Gesetzen Recht zu sprechen.

„Nun gut, wir werden sehen!“ sprach seine Auftraggeberin. Pirein bettelte: „Sagen sie mir doch endlich den Grund, warum sie mich angeworben haben!“ „Ich kann nicht!“ entgegnete Stefanie Stern. „Wieso?“ drang Pirein darauf, eine Antwort zu erhalten.  „Die Alliierten sitzen mir im Nacken.“  Er lachte zuerst glucksend, doch dann verstand er die Bedeutung dieser Aussage. Sie hatte ihn soeben an die Erlebnisse seiner Kindheit erinnert. Sie sah ihn scharf an und sprach: „Ich habe nun zu Arbeiten. Bitte verlassen sie meine Räumlichkeiten.“ Sie entließ ihn und rot vor Zorn lief er davon.

* * *

Er machte sich nun wieder an die Aufgabe, die er für den Bestimmungszweck seines Daseins hielt. Er suchte nach Gründen die Familie in Misskredit zu bringen.

Im Tennisverein spielte er die Rolle des ehrgeizigen Gewinners weiter. Als die Mutter im Vereinsstübchen kellnerte, kam er auf den Tennisplatz. Er spielte sein Match und ging in einer Pause zu Frau Kück. Auf dem Platz hatte er bereits einen Satz verloren und er markierte mit Absicht den Sterbenden. „Ich habe solche Kopfschmerzen!“ klagte er. Er bat nun Magdalene Kück, ihm etwas gegen seine angeblichen Schmerzen zu bringen: „Können Sie mir bitte etwas gegen meine Kopfschmerzen bringen? – In einem Glas mit Wasser.“

Freundlich und besorgt löste Magdalene Kück ein Aspirin in einem Glas Wasser auf und brachte es ihm an den Tisch, wo Pirein leidend saß. Er trank es und ging wieder dem Spiel zu. Er verlor das Match und kam zurück an den Tresen. Lautstark brüllte er herum: „Was haben Sie mir in das Glas getan. Ich habe kaum noch spielen können. Ich verlange zu wissen, womit sie mich vergiftet haben!“ Sie war zunächst sprachlos. Dann sagte sie: „Aspirin, Herr Pirein. Und ich kann nichts dafür, wenn sie nicht mehr geradeaus gucken können.“ „Ich werde sie anzeigen! Ich habe nach Wasser verlangt!“ rief er aus und verließ böse den Platz.

Darauf hatte er es angelegt, denn er wollte einen Grund, konkreter gegen die Familie vorzugehen. Tatsächlich erstatte er sofort eine Anzeige. Man lachte ihn zwar bei der Polizei in Welkostadt aus, und hielt ihn wieder einmal für einen Neurotiker, aber damit rechnete er. Dennoch musste die Polizei die Anzeige aufnehmen und der Verdacht einer bösen Absicht war gelegt.

* * *

Ein paar Tage später kam er wiederum auf den Tennisplatz und entschuldigte sich höflich bei der Mutter. Er sagte, dass er es wohl mit seiner Migräne zu tun gehabt haben müsse. Plötzlich kam Tropos, der ältere Sohn der Familie auf ihn zu. In der Hand hielt er die Feder einer Taube. „Hier Herr Pirein, die habe ich gefunden. Darf ich sie ihnen schenken?“ Pirein nahm die Feder und fragte lächelnd: „Was soll ich denn damit?“ „Damit sie sich etwas hinter die Ohren schreiben können!“ sagte der Junge. Die anwesenden Personen fingen an zu lachen und das Lächeln gefror Pirein im Gesicht. 

 

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Dreckberg

Autor:

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