Das Einhorn

30.12.07

Im Hexenwald einer Hexenfamilie lebten die Hexen zusammen mit einem belgischen Einhorn mit weißem Horn. Das Einhorn war freiwillig dort. Es war sonst nicht üblich, dass ein Einhorn längere Zeit an einem Platz verweilte, aber in dieser Hexenfamilie passierte immer wieder etwas Aufregendes oder Seltsames und deswegen wurde es dem Einhorn nicht langweilig.

Eines Tages stellte eine der Hexen fest, dass der Kühlschrank leer war. Die Hexen berieten sich und meinten, man könne doch das Einhorn fragen, ob es nicht in der Stadt für die Hexen einkaufen gehen könne. So geschah es. Die Hexen gingen in den Stall zum Schlafplatz des Einhorns und stellten ihm ihre Frage. „Girr- Einhorn, Girrrr! Willst du für uns einkaufen fahren? –Girrrrgiirr!“

Die Hexen waren durch den langen Schlaf noch nicht wieder an die Sprache gewöhnt und schoben deswegen immer noch die Geräusche in ihre Worte ein, die sie während des Träumens machten. Aber im Laufe der Zeit würde das nachlassen und wenn sie häufig sprachen, lernten die Hexen das artikulieren wieder.

Das Einhorn war zunächst verblüfft über ihr Anliegen, und fragte die Hexen, ob es vielleicht mit einer Einkaufstasche oder so zum Einkaufen gehen solle. Beleidigt sah es zur Seite. Die Hexen rieben sich das Kinn und meinten:

„Girrr- Nein, dass – Giiiirr - würde auffallen, wenn du mit den Tüten durch den – Girr - Einkaufsmarkt gehst. Girrr- Pass auf, wir zaubern dir einen –Giiiiirr - hübschen Wagen und du brauchst ihn nur bis zum Laden zu ziehen. - Girr. Der Besitzer weiß dann schon Bescheid - Giirr. Wir werden ihn behexen.“

Das belgische Einhorn sah die Hexen mit großen braunen Augen an und sagte mit sanfter, wohlklingender Stimme: „Gut. Zeigt mir euren Wagen.“

Die Hexen gingen nach draußen und gemeinsam zauberten sie die Einzelteile eines Holzkarrens. Die eine zauberte Räder, die andere eine Deichsel und die dritte den Wagenkasten. Dann sprachen sie noch einen Hexenspruch und die Einzelteile wirbelten wild in der Luft herum, um sich schließlich zu einem Karren zu verbinden.

Als das Einhorn aus dem Stall kam, blickte es auf die großen Räder, die schief von dem Wagen abstanden und den Kasten der ebenso krumm aussah, wie er entstanden war. Dann stellte es fest, dass überhaupt keine Vorrichtung vorhanden war, um den Wagen an dem Einhorn festzumachen. Kein Geschirr und auch keine Leine. Lediglich eine Querstange am vorderen Ende des Wagens, an dem man ihn ziehen konnte, wie Menschen einen Wagen ziehen würden. Deswegen fragte es die Hexen, ob sie nicht etwas vergessen haben könnten.

Die Hexen zogen prompt einen Einkaufszettel heraus uns sagten: „Giirr - Nein, wir haben alles aufgeschrieben, was wir brauchen. Sieh’ her – Girrrr-, hier steht alles.“ Kopfschüttelnd, über das engstirnige Verhalten der Hexen entrüstete sich das Einhorn darüber, wie die Hexen sich dies denn vorgestellt hätten. Es sei doch wohl klar, dass es den Wagen nun mit dem Maul ziehen müsse, weil die Hexen das Geschirr vergessen hätten. Darauf wollten die Hexen sogleich die fehlenden Lederriemen herbeizaubern, aber das Einhorn bestand darauf, dieses zu unterlassen. Es habe sich bereits entrüstet und wolle dies nicht ein zweites Mal tun.

Es stellte sich vorsichtig mit den Hufen über die Zugstange, so dass diese zwischen ihren Beinen unter dem Bauch hindurch lief, nahm die Querstange des vorderen Endes der Zugstange ins Maul und lief damit ein paar Schritte nach vorne. „Na gut, so geht es auch. Ich werde mit dem Wagen schon zurecht kommen. Legt den Einkaufszettel hinten hinein, damit der Verkäufer im Laden bescheid weiß.“ wieherte es laut.

Die Hexen taten, wie ihnen das Einhorn geheißen hatten, legten aber noch einige Haselnüsse zu dem Zettel in die Karre, welche sie schnell in Goldstücke verwandelten. Dann gingen die Hexen mit dem Einhorn zu der Stelle im Wald, wo der Weg zur Stadt durch den Wald ging und verzauberten danach das Einhorn, so dass es nicht mehr wusste, wo die Hexen ihr Haus hatten, bis es wieder an der Agave mit dem Holzstoss am Wegesrand vorbei kommen würde. (Es ist übrigens der einzige Zauber, den die Hexen einem Einhorn auferlegen können, nämlich der, dass es etwas vergisst und die Hexen nutzten dafür den Duft der Agave.)

Es war eine Vorsichtsmaßnahme, mit der das Einhorn einverstanden war, damit die Menschen das Einhorn nicht fangen und mit der verhindert wurde, dass dieses Einhorn von einem Wesen der Zwischenwelt verhört werden konnte.  (Es gibt viele Geschichten, in denen Einhörner gefangen wurden, auch wenn Menschen die Einhörner nicht erkennen können. Der Mensch sieht in einem Einhorn immer nur ein Pferd. Nur Hexen, Zauberer und andere Wesen der Zwischenwelt können das Einhorn sofort erkennen. Und manchmal sind es diese Wesen der Zwischenwelt, die einem Menschen raten das angebliche Pferd in einem Stall einzusperren. Oft wurden Einhörner dann zu Tode gequält, weil sie in Gefangenschaft sterben. Aus Verzweiflung gaben sie ihre Geheimnisse einem Wesen der Zwischenwelt preis.)

 

Das Einhorn nahm also die Stange ins Maul und lief mit dem Wagen bis in die Stadt. Dort blieb es vor dem Laden stehen, in welchem ein Mensch seine Waren verkaufte. Die Hexen im Wald beschworen ihre Zauberkugel und befahlen dem Menschen nach draußen zu gehen und nach dem Pferd mit dem Wagen zu sehen. Der Mensch machte sich nach draußen,  fand den Zettel im Wagen und einige Goldstücke. Sogleich lud er die gewünschten Waren in den Wagen und verabschiedete sich freundlich lächelnd: „Na, Brauner, du scheinst aber einem guten Hof zu gehören.“

Das Einhorn schimpfte auf dem Rückweg mit dem Menschen. "Ein Einhorn gehört niemandem!", sagte es laut, aber es hörte sich für Menschen, die dem Einhorn begegneten nur an, als wenn ein Pferd wiehern und schnauben würde, während es einen Wagen mit dem Maul zog, was allerdings schon ziemlich auffällig war.

Als das Einhorn wieder an den Waldrand kam, überlegte es, dass es besser sein würde, die Waren im Wagen unsichtbar zu machen, damit kein Räuber darauf aufmerksam werden konnte. Es sah sich um und als es keinen Menschen erblickte und auch sonst nichts ungewöhnliches bemerkte, berührte es die Sachen mit seinem Einhorn und für kurze Zeit wurde das Horn für alle Wesen sichtbar, weil es einen hellen Lichtschein gab und alle Waren in dem Wagen unsichtbar wurden.

Dann nahm das Einhorn die Stange wieder auf und lief in den Wald hinein. Der Weg führte es geradewegs an den Holzstoß mit der Agave und plötzlich fiel dem Einhorn auch wieder ein, dass es hier zu den Hexen zurück gehen musste. Der Vergessenszauber, den die Hexen ihm auferlegt hatten, wich, als es die besagte Stelle mit dem Duft der Aloe Vera passierte.

 

Das Einhorn trottete schnurstracks links in den Wald und brachte den Wagen zurück an das Hexenhäuschen. Groß war die Freude unter den Hexen über das Wiedersehen, aber als sie sahen dass der Wagen leer war, fuhren sie wild kreischend um das Einhorn herum. Das Einhorn beruhigte die Freundinnen und erklärte, dass es die Sachen nur aus Vorsicht, wegen der Räuber verzaubert hatte. Die Hexen schauten sich gegenseitig an und verstanden. Dann luden sie die unsichtbaren Sachen ab und brachten sie in den Kühlschrank. Plötzlich stellten sie aber fest, dass dieser gar nicht leer gewesen war, sondern voller weiterer unsichtbarer Artikel.

Lachend über die verzweifelt wirkenden Hexen nahm sich das Einhorn eine Karotte und legte sich auf ein Schläfchen in die Blumenwiese vor dem Hexenhaus.

Die Hexen hexten noch eine Weile gemeinsam unternehmungslustig herum, bis es ihnen gelang einen weiteren Kühlschrank zusammenzuhexen. Dort stellten sie die mitgebrachten Dinge dann  für eine Weile hinein, solange der Zauber wirkte, was bei jedem Hexenzauber unterschiedlich ist.

Inzwischen war der Zauber mit dem Einkaufsgold jedenfalls vergangen und der Verkäufer der Waren im Laden hatte plötzlich anstatt von Goldstücken wieder Haselnüsse in seiner Kasse. Er dachte jedoch, sein Lehrling habe ihm die Goldstücke ausgetauscht und deswegen bekam Der eine Abreibung und musste einen Monat lang kostenlos arbeiten, wobei anzumerken ist, dass es eigentlich jeden Monat einen Grund gab, weswegen der Lehrling kein Geld bekommen sollte.

 

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endschatten

Autor:

Iren Buchdruck

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