Das Konzept

 

 

Ihr Vater ging in den Keller. Er hüllte sich in einen purpurnen Mantel ein und nahm das Messer aus der Vitrine. Er befestigte die Messerscheide an seinem Gürtel. Dann steckte er das Messer bedächtig in die Scheide.

 

Oben, im Kinderzimmer gab sie ihrem Kinde eine Spritze. Sie begann zu weinen, während sie die Nadel in den Arm ihres Kindes einführte. Sie wusste, dass es die Grenze dessen war, was ein Kind in diesem Alter aushalten konnte. Er konnte dabei sterben.

 

Dann, als sie die leere Spritze zurück gelegt hatte, brach sie zusammen. Sie schrie und heulte. Sie schrie immer wieder: „Warum, warum tut ihr das. Wieso hört ihr nicht endlich auf.“ Dies ging eine ganze Weile, bis sie nur noch wimmerte und sich krampfartig zusammenrollte.

 

Ihr Vater, der im Keller gewartet hatte, bis das Schreien verstummte, zündete nun die Kerzen auf dem Altar an. Dann zog er langsam das Messer. Ohne einen Laut von sich zu geben, hob er das Messer mit beiden Händen an. Die Spitze nach unten gerichtet, hielt er das Metall vor den Augen. Die Arme hatte er weit ausgestreckt. Der Umhang fiel seitlich von seinen Armen herab und über seinem Kopf hatte er die Kapuze gestreift. Sie fiel etwas über die Stirn und warf einen Schatten auf sein Gesicht.

 

Als er nichts mehr hörte, das Haus ganz still geworden war, schnellten seine Arme nach oben und das Messer bewegte sich in einem Kreisbogen bis über seinen Kopf. Die Schneide blitzte in dem Kerzenlicht auf und im nächsten Moment stieß er mit dem Messer nach unten. Die Klinge durchschnitt die Luft und der Mantel und seine Bewegungen machten das einzige hörbare Geräusch. In einer ausholenden Bewegung stürzte die Klinge hinab auf seinen Torso zu. Zitternd hielt er das Messer fest . Die Spitze hatte er unmittelbar vor seinem Körper zum Halten gebracht.

 

Jetzt ging er zwei Schritte rückwärts und drehte sich dann langsam um. Er ging auf den Kellerbogen mit den Treppen zu, die nach oben führten. Doch er legte zunächst den Mantel ab und brachte die Klinge mit der verzierten Scheide wieder in die Vitrine zurück. Dann ging er nach oben, zu seiner Tochter.

 

Er sprach: “Ich habe ihn umgebracht!“ Sie sah ihn verstört an und sagte: „“Wir müssen es tuen!“ Dann stand sie auf und nahm den Spiegel vom Tisch. Sie legte ihren Sohn auf die Seite und stellte den Spiegel in das kleine Bett. Er hatte den Spiegel nun zwei Hand breit vor der Nase. Das Kind befand sich noch in einem tiefen Rauschzustand. Sein Herz schlug kaum noch und sein Atem war nicht mehr zu vernehmen. Der Spiegel beschlug nicht einmal. Seine Mutter und der Großvater warteten nun. Sei hofften, dass das Kind von selber wieder zu sich kommen würde.

 

Jede andere Art des Erwachens würde dem Kinde eine Schädigung zufügen, so glaubten Sie. Ihr Glaube an das Wesen der Droge vermittelte ihnen gleichsam das tiefe Gefühl der Befriedigung, das man hat, wenn man etwas Großartiges geleistet hat. Sie fühlten sich stark und mächtig. Auch wenn das Kind nun sterben würde, würde diese Familie nicht ablassen von dem Glauben an die Macht der Drogen, die auf diesem Planeten  gedeihen. Sie würden weiterhin davon Besitz ergreifen und sich der Menschen mittels der Drogen bemächtigen. Aber das Kind starb nicht. Es erwachte nach Stunden, in denen seine Mutter und sein Großvater am Bett gestanden hatten, und sah im Spiegel sein eigenes Gesicht.

 

Als es etwas wacher wurde fragte es, noch immer im Drogenrausch: „Mammi, wer ist das?! Die Mutter streichelte ihn und sagte: „Da ist niemand!“ Sie nahm vorsichtig den Spiegel weg. Dann fragte das Kind wieder: “Aber ich habe doch jemanden gesehen!“ Sie antwortete: „Das hattest du dir nur eingebildet, da war niemand.“  Er begann zu weinen. „Nein, Mammi. Ich habe jemanden gesehen. Er lag direkt da.“ Seine Puppillen waren durch die Droge schon sehr geweitet, aber die Angst, dass ihm nicht geglaubt würde, lies sie sich noch weiter vergrößern. Es war nun schon fast nur noch ein schwarzes Loch in seinen Augen zu sehen. Sie sagte beruhigend: “Ach so, dass war doch nur ein Spiegel.“ 

 

Die Erwachsenen dachten beide daran, dass sie ihrem Familienmitglied nun eine Krankheit eingehaucht hatten, die aber in dieser Familie eine existenzielle Bedeutung hatte. Es war die Gewissheit darüber, sich nur über schäbige Machenschaften, Lügen und Intrigen die Macht und das Geld zu verschaffen. Eine andere Art den Lebensunterhalt zu verdienen war ihnen fremd. Sie wussten, dass dieses Kind nun krank war, aber niemand würde es merken, bis sich seine geistigen und körperlichen Kräfte soweit entwickelt hatten, die Zusammenhänge von selber zu verstehen.

 

Er würde von nun an vor sich selber Angst haben und dies war auch die Absicht dieser Familienmitglieder. Er sollte nur vor sich selber Angst haben. Damit würde er leben müssen. Auf jegliche andere Einflüsse, die ihm in seinem Leben Angst machen werden, würde die Familie reagieren. Sie würden sich nicht scheuen, dafür Menschen zu ruinieren, oder gar einen Mörder zu engagieren. Aber sie würden niemals Gewalt anwenden gegen diesen Jungen. Er war dazu auserkoren, ihr neuer Führer zu werden. Es sollte entweder alles zu seinem Wohle geschehen, oder es sollte durch das Gegenlenken dieser Familie vernichtet werden. Sie waren bereits mächtig und sehr reich und der Großvater hatte sich in seinem Leben oft Verbrechen schuldig gemacht, die ihm aber nicht nachgewiesen werden konnten, weil keine Zeugen lange stand hielten. Entweder verstarben sie, zumeist durch Selbstmord, oder sie sagten plötzlich nichts mehr. Sie verstummten einfach, weil ihre Aussagen sich von selbst widerlegten und es ratsamer war einen gewissen Geldbetrag anzunehmen, als sich in Schwierigkeiten zu bringen.

 

Von diesem Tage an war die Nachfolge geregelt. Man würde versuchen, diesen Jungen an die Spitze sämtlicher Konzerne zu bringen, ihm alle Namen und wichtigen Familien zu nennen, ihm jegliche Informationen zu beschaffen über die Menschen, die ihm begegnen werden. Ihm sollten nie wieder Menschen entgegentreten, ohne dass er darauf nicht vorbereitet worden sei. Natürlich ist dieses Ziel schwer zu erreichen, aber wenn sie sich intensiv bemühten, würde jeder der sich ihm nähern will, in seiner Person und seinen Absichten vorher abzuschätzen sein. Sie hatten schon längst alle Personen in ihrer näheren Umgebung durchleuchten lassen; dieser Familie war jeder Einwohner innerhalb ihres Wohnortes namentlich bekannt und jeder hatte ein Dosier. Alle Tätigkeiten, Ämter und Fehltritte der Ortsbewohner waren durch die Familie ausgekundschaftet worden. Man hatte sich seit Jahren die Mühe gemacht über jeden ein umfangreiches Profil zu erstellen.

 

In den nächsten Tagen wurde dafür gesorgt, das dem Jungen jeder Wunsch von den Augen abgelesen wurde. Dann begann die Mutter seine Erziehung fortzusetzen.

 

Sie trichterte ihm nun eine Verhaltensweise ein, welche ihm seine späteren Erzieher noch oft sehr übel nahmen. Er sollte wild auf den Boden hauen und schreien und heulen. Er sollte dazu sagen: „ Wie kann man denn nur so dumm sein. Wie kann man denn das glauben.“ Dabei erzählte sie ihm immer zuerst die Wahrheit. Sie sprach über den Tisch und was auf dem Tisch stand. Sie erzählte es, ohne dass er auf den Tisch blicken konnte. Dann zeigte sie ihm wieder diese Verhaltensweise, sich wie ein Irrer zu benehmen.  Aber er hatte vorher einen Blick auf den Tisch geworfen und wusste somit, dass die Mutter die Wahrheit sprach. Dennoch sollte er sich aufregen und willenlos der Mutter folgen, die ihm beibrachte sich eine Lüge zu wünschen. Sie erklärte ihm immer wieder er solle sagen, dass nichts auf dem Tisch steht und sich dermaßen aufführen. Sie machte ihm sogar vor, wie irre er gucken solle und welche Grimassen er schneiden soll.

 

Als sein gespielter Ausbruch tatsächlich kaum noch von einem echten krankhaften Benehmen zu unterscheiden war, sagte sie: „Die Sachen stehen aber auf dem Tisch und wenn du willst, dass ich dir deine Lüge glauben soll, dann musst du dir schon etwas anderes einfallen lassen.“ Das Kind sah sie wild an und schrie: „Nein, es steht nichts auf dem Tisch!“ Er begann sich auf dem Boden zu wälzen und zu krümmen. „Es steht nichts auf dem Tisch, es steht nichts drauf...!“  Er war kaum noch zu bändigen und begann zu Hyperventilieren.  Dies war der Punkt, an dem sie ihn auszog und begann ihn liebevoll zu streicheln. Sie ließ nichts aus und liebkoste ihren Jungen und leckte ihn ab, wie Tiere es mit ihren Nachkommen machen, wenn sie das Nest noch nicht verlassen haben.

 

Es hätte sein können, dass er sie schlägt, oder beißt, aber dass tat er nicht. Er begann ruhiger und stiller zu werden. Sie kuschelten sich aneinander und schliefen beide auf dem Fußboden ein. Als er wach wurde stand der Tisch am selben Platz, und alles was darauf stand war immer noch dort. Seine Wut war zwar verraucht, aber er hatte dennoch das fürchterliche Bedürfnis seine Mutter einmal richtig anzulügen, ohne dass sie es bemerken würde.

 

Um sicher gehen zu können, dass er gewisse Dinge nicht mit der Mutter in Zusammenhang bringen würde, hatte sie ihn schon vorbereitet. Ein Jahr, der Sache mit der Drogenspritze zuvor, hatte sie ihm einen elektrischen Schalter gezeigt. Wenn der  Schalter mit der Netzspannung verbunden wurde und wenn man ihn betätigte, stand der Schalter für kurze Zeit unter Strom. Man bekam einen Schlag, bis die Sicherung heraussprang. Sie zeigte damals ihrem Kind zuerst wie der Schalter funktioniert, ohne dass dieser angeschlossen war. Dann sagte sie, dass dies Jenni sei und zeigte auf den Schalter. Der Junge betätigte den Schalter und sie sagte wieder: „Das ist Jennifer.“ Dann, als der Junge mehrmals den Schalter umgelegt hatte, steckte sie den Netzstecker ein, so dass der Junge sehen konnte was die Mutter machte. Er legte wiederum den Schalter um, ohne dass die Mutter etwas gesagt hätte und bekam einen starken Stromschlag. Die Sicherung sprang heraus, aber der kleine Junge fing sofort an zu heulen, nachdem ihm der Strom durch den Körper gelaufen war und er seinen Schreck überwunden hatte. „Oh je, mein Armer, rief sie aus und nahm ihn sofort in die Arme, um ihn zu trösten.“

 

Am selben Tage bekam er sein eignes Zimmer und schlief nicht mehr im Schlafzimmer seiner Mutter. Doch seit dem kam sie immer sofort an sein Bett, wenn er zu weinen begann und fragte ihn ob Jenni wieder da gewesen sei. Das Kind träumte zwar noch oft von dem Schlag und der Bewegung, welche die Mutter vorher gemacht hatte, wie sie den Schalter eingesteckt hatte und er darauf den Stromschlag bekam, aber er brachte den Namen Jenni immer mit jener unangenehmen Erfahrung in Zusammenhang. Genau dieses wollte die Mutter erreichen. Jennifer war zu diesem Zeitpunkt der häufigste Name für weibliche Kinder. Sie wollte, dass ihr Sohn den weiblichen Namen, den die meisten Menschen dieser Erde für ihr Kind wählten, in einer Beziehung mit Lüge und Gefahr brachte. So konnte sie sicher sein, dass ihr Kind niemals die Mutter und deren Wesen verdammte, sondern immer den Bezug zu den meisten Frauen seiner Welt herstellte.

 

 

Diesen Jungen der heute fünf Jahre alt ist, gibt es wirklich und er wird einmal genau so tyrannisch mit seinen Mitmenschen umgehen, wie seine Familie es von ihm verlangt. Es wird ihm anerzogen und er wird Menschen, die ihm entgegenkommen niemals ehrliche Freundschaft entgegenbringen. Obwohl er nicht geschlagen (oder misshandelt) wurde, wird er Methoden anwenden, um später andere Menschen zu versklaven und zu verkaufen. Vor diesem Menschen möchte ich euch warnen.

 

 

 

Euer Endschatten

 

Copyright

Tauka

08. Februar 2005